Momente

Habe ich etwas versäumt in meinem Leben? Weiß jemand, wie man richtig lebt? Waren es nicht immer nur Momente empfundenen Glűcks, und dazwischen Konfusion, Monotonie und Entfremdung?
In den ersten 20 Jahren meines Lebens wurde ich viel belogen. Wie Bernward Vesper („Die Reise“) „sind wir alle betrogen worden, um unsere Träume, um Liebe, Geist, Heiterkeit, ums Ficken, um Hasch und Trip“. In den nächsten 55 auch, aber da habe ich nichts mehr geglaubt. Und ihr bourgeoisen Sozis und verkalkten Christen – auch wenn ihr nach 60 Jahren gemerkt habt, daß Hanf weniger gefährlich ist als Alkohol – es ist zu spät. Ihr habt zu viele Unschuldige kriminalisiert und geschädigt. Euch werden nur noch verwirrte Covid-Jűnger glauben, die sich eher um ihre Internet-Verbindung sorgen.
Ich hörte ein bekanntes Walzer-Adagio, grottenschlecht gesynthesizert, und sah mich Hand in Hand wellenartig mit einer völlig undefinierten Frau durch einen ebensolchen Raum schweben. Gern hätte ich mehr Walzer getanzt, bevor meine Knie aufgaben. Aber was wäre davor und danach abgelaufen?
Auch erinnere ich mich an Square-Dance mit Musik von Bob Dylan 1966 in einem Jugendlager auf der französischen Ile d’Oléron. Und als David Lanz „A Whiter Shade of Pale“ von Procul Harum klimperte, fiel mir ein, wie wir – ein anderes wir – es in einem Café in Amsterdam gehört hatten, nachdem uns die LSD-Pillen aus meinem R4 gestohlen worden waren.
Später saß ich in meinem verkommenen Häuslingshaus im Moor, während die Squaw auf dem Ofen kochte. Durch die Glasquadrate des Stallfensters, mit dem ich die verrotteten Originale ersetzt hatte, blickte ich in den von der Westsonne durchleuchteten Eichenwald. Achim Reichel sang gerade den LSD-Text: … dann schloß sie die Augen, die Lippen wie zum Kuß und stieß einen Sprűhnebel aus.
In Western mit Clark Gable oder James Stewart kamen solche Szenen vor. Selbst wenn die Squaws in dem Moment glűcklich waren, wűrden sie es bleiben? In den Block-Häusern, die weder Filzläuse noch Schimmel enthielten, herrschte cinemascopische Romantik. Keine der Squaws entwickelte eigene Bedűrfnisse, die von denen ihrer Helden abwichen, mietete heimlich Kutschen oder verspekulierte sich mit Gold.
Und so verschwand auch die kleine Katze, die ich aufgezogen hatte, spurlos in einem Moment ohne Schrei. Doch tauchte sie am nächsten Tag wieder auf – mit veränderter Stimme und großem Hunger.
Ente gut, alles gut.

3 Gedanken zu „Momente

  1. Ja, das ist glaub ich ein weites Feld. Also das Leben, an und für sich. Und mitunter, inzwischen womöglich immer mehr, herscht auch Dürre. Als ich die die in einem ähnlichen Zusammenhang bei WhattsApp die Tage schreiben wollte, schlug mir aber die automatische Wortergänzung Dürrenmatt vor. Haha. Hab ich mal gegoogelt und siehe: Was ist typisch für Dürrenmatt?
    DÜRRENMATT benutzt als stilistische Mittel die Satire, die Farce, das Paradoxon, die Groteske und den schwarzen Humor. Zentrale Themen seiner Werke sind die Macht und die Frage nach der Verantwortung und den Einflussmöglichkeiten des Einzelnen in einer immer chaotischer werdenden Welt.

    Aber, oke. alles gar nicht so einfach. Alles Gute.

  2. Dűrrenmatt hat schon 1956 gewußt, daß die Zukunft nicht mehr eine irgendwie göttlich geartete Apokalypse bereithält, „sondern Verkehrsunfälle, Deichbrűche infolge von Fehlkonstruktion, Explosion einer Atombombenfabrik … falsch eingestellte Brutmaschinen. In diese Welt der Pannen fűhrt unser Weg.“ Wären noch automatische Wortergänzungen und besonders gut brennende Elektroautos hinzuzufűgen.

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